
(Von Eckhardt Kiwitt, Freising)
Doch zunächst eine überraschende Meldung des Tages aus Tunesien:
Tunesien hat die Todesstrafe abgeschafft. Das erste Land Nordafrikas hat damit diese Entscheidung gefällt. „Der neue tunesische Kurs beginnt mit einer wichtigen Geste der Öffnung und der Förderung der Menschenrechte“, meldete jetzt die Internationale Gemeinschaft Sant’Egidio, die seit vielen Jahren im Einsatz für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe engagiert ist.
Der tunesische Ministerrat hat am 4. Februar 2011 eine Reihe internationaler Konventionen und Protokolle verabschiedet, die vor allem in Bezug auf die Todesstrafe, den Kampf gegen die Folter und den Schutz der Person gegen unbekanntes Verschwinden uneingeschränkt übernommen wurden.
Das liest sich gut, und man kann den Menschen in den totalitären / autokratischen Staaten der islamischen Welt nur wünschen, dass sich derartige Erkenntnisse und Überzeugungen dort, aber auch weltweit durchsetzen. Insbesondere die Anerkennung der Menschenrechte gemäß der „Allgemeinen Deklaration der Menschenrechte“ und nicht etwa der „Menschenrechte“ gemäß der Scharia, wie sie der OIC vorschwebt.
In allen europäischen Staaten – mit Ausnahme der Diktatur Weißrussland – ist die Todesstrafe seit langem abgeschafft. Die Tatsache, dass sie in der Verfassung des deutschen Bundeslandes Hessen noch immer erwähnt wird, ist unerheblich, denn in Deutschland gilt: Bundesrecht bricht Landesrecht.
„Auf EU-Ebene ist sie durch den Lissabon-Vertrag in ganz bestimmten Fällen allerdings wieder zulässig – die Wiedereinführung der Todesstrafe im Kriegsfall oder bei unmittelbar drohender Kriegsgefahr, aber auch die Tötung von Menschen, um einen Aufstand oder einen Aufruhr niederzuschlagen. Maßgeblich dafür ist nicht Art. 2 Abs. 2 der Charta, der die Verurteilung zur Todesstrafe und die Hinrichtung verbietet, sondern die in das Vertragswerk aufgenommene Erklärung zu diesem Artikel, die aus der Menschenrechtskonvention von 1950 stammt.“
In Großbritannien wurde die Todesstrafe aufgrund eines einzigen Justizirrtums in den 1950er Jahren abgeschafft, der später verfilmt und auch im Deutschen Fernsehen gesendet wurde.
Nun hat eine „Strafe“ zum Ziel, dem Straftäter die Möglichkeit zu geben, einzusehen, dass sein Handeln gesetzwidrig und moralisch verwerflich war, was in vielen – wenngleich nicht in allen – Fällen auch gelingt. Einem zum Tode verurteilten Straftäter steht diese Möglichkeit nicht offen, denn wenn er erst hingerichtet ist, gibt es für ihn nichts mehr einzusehen. Hinter der Todesstrafe steht also nicht der Gedanke der Erziehung oder der Gedanke, jemandem eine Möglichkeit zur Einsicht in sein rechtswidriges und moralisch verwerfliches Handeln zu eröffnen, ihm also eine Perspektive auf ein neues Leben zu geben.
Hinter der Todesstrafe steht der Gedanke der Rache, die vom alttestamentlichen, altjüdischen „Aug um Auge, Zahn um Zahn“ bereits eingegrenzt wird (nur ein Zahn für einen Zahn, nicht das ganze Gebiss) und durch das neutestamentarische, ebenfalls jüdische „Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie“ ergänzt wird.
Rache ist jedoch ein niedriger Beweggrund, und so heißt es im Strafgesetzbuch der Bundesrepublik Deutschland im § 211 Satz 2:
Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet.
Mit dieser Rechtssetzung in § 211 Satz 2 StGB würde die Vollstreckung eines Todesurteils in Deutschland den Straftatbestand des Mordes erfüllen – dies auch, weil die Vollstreckung eines Todesurteils immer nur mit gemeingefährlichen Mitteln ausgeführt werden kann [bis zum Beweis des Gegenteils!] – und müsste gemäß § 211 Satz 1 StGB mit lebenslanger Freiheitsstrafe geahndet werden. Jeder Richter, der heute in Deutschland ein Todesurteil fällen würde, wäre – mindestens moralisch, aber wohl auch strafrechtlich – des Aufrufs oder der Anstiftung zum Mord schuldig.
In jenen Staaten, in denen die Todesstrafe bis heute verhängt und vollstreckt wird, kommt es immer wieder zu Fehlurteilen – sogenannten „Justizirrtümern“ – bei denen unschuldige Menschen zum Tode verurteilt werden. Nach der Vollstreckung dieser Fehlurteile und der späten Erkenntnis, dass man einen Unschuldigen hingerichtet hat, spricht man dann – zu Recht, wie ich meine – von einem „Justizmord“, also einer Tötung aus niedrigen Beweggründen.
Nichts anderes ist jedoch die Vollstreckung jedes Todesurteils, auch wenn das Urteil den Gesetzen des jeweiligen Landes scheinbar genügen mag.
Denn Rache gilt – hoffentlich – weltweit als ein niedriger Beweggrund. Wie oben dargelegt, handelt es sich bei einem Todesurteil nicht um eine erzieherische Maßnahme, sondern um ein Urteil aus niedrigen Rachegelüsten, also aus niedrigen Beweggründen.
In den USA beobachtet man seit langem, dass nach jeder Vollstreckung eines Todesurteils, über das in den Öffentlichen Medien berichtet wird, die Gewaltkriminalität ansteigt. Die Vollstreckung der Todesstrafe hat somit keine abschreckende Wirkung, sondern sie motiviert zur Begehung von Gewalttaten gemäß der infantilen Einstellung : „Jetzt erst recht“.
Befürworter der Todesstrafe sollten sich bewusst sein, dass sie, indem sie sich für die Todesstrafe aussprechen, den Rahmen unseres Grundgesetzes, unserer Rechtsordnung insgesamt und unserer – auch aus dem neutestamentarischen Christentum inspirierten moralischen Werte entweder verlassen oder diese nie anerkannt haben.
Jeder Befürworter der Todesstrafe, der sogar die Hinrichtung Unschuldiger aufgrund von Justizirrtümern inkauf nehmen muss, da es solche Justizirrtümer immer wieder gibt und diese unvermeidbar sind, muss sich darüber im Klaren sein, dass er seine eigene Hinrichtung – auch aufgrund eines Justizirrtums – befürwortet.
Und er sollte und müsste dafür sorgen, dass zunächst er selbst hingerichtet wird – auch wenn er unschuldig ist. Alles andere wäre inkonsequent, unglaubwürdig und lächerlich.
Ihre eigene Hinrichtung können Befürworter der Todesstrafe z.B. dadurch erwirken, dass sie sich nach Saudi-Arabien begeben und dort öffentlich den Koran, den sogenannten „Propheten“ Mohammed oder den Islam insgesamt kritisieren. Auf dieses „schlimme Verbrechen“ steht in Saudi-Arabien die Todesstrafe.