Wolfgang Ockenfels  Ein echtes Highlight im allgemeinen Gutmenschengeschwurbel zum Thema Zuwanderungspolitik ist das Klartext-Interview des Dominikanerpaters Prof. Wolfgang Ockenfels (Foto) in der Tagespost. “Das vormals christliche Europa sollte wenigstens noch das Signal aussenden: Nicht Muslime, sondern islamisch bedrängte und verfolgte Christen genießen bei uns bevorzugt Asyl”, so der Sozialethiker.

Hier das lesenswerte Interview in voller Länge:

Herr Professor, ist die Unterscheidung des deutschen Asylgesetzes zwischen Armutsflüchtlingen und politischen Flüchtlingen, die Asyl beantragen dürfen, eine legitime? Muss man aus moralischer Sicht nicht auch Menschen Aufenthalt gewähren, die sich in ihren Ländern nicht ausreichend ernähren können?

Diese Unterscheidung ist notwendig. Man kann nicht allen Armen aus aller Welt Asyl in Deutschland oder Europa gewähren. Überdies wird das weltweite Armutsproblem durch Auswanderung nicht gelöst, sondern eher verschärft. Freilich hängen wirtschaftliche Armut und politische Unterdrückung sehr oft zusammen: Man flüchtet vor einem politischen System, das auch wirtschaftliche Armut produziert. Gewiss entspricht es der christlichen Moral, die vielfältigen Formen von Armut und Not zu überwinden, zunächst im eigenen Land, vor der eigenen Haustür. Zuerst kommt die Nächstenliebe, dann die Fernstenliebe.

Wie muss ein europäisches Asylrecht aussehen, das den Forderungen der Katholischen Soziallehre entspricht?

Christliche Solidarität muss dem Prinzip der Subsidiarität folgen, also mit caritativer Hilfe beginnen. Caritas ist allerdings eine Sache des Glaubens und der Freiwilligkeit. Diese christlich-moralische Pflicht wird in säkularisierten Gesellschaften immer mehr verdrängt durch rechtlich erzwingbare Solidarleistungen von Staaten, die aber inzwischen finanziell vor dem Ruin stehen. Kein Wunder also, dass die Bereitschaft stark nachgelassen hat, finanzielle Opfer für die Entwicklungshilfe und für politische und andere Flüchtlinge zu bringen. In Sachen Asylrecht entscheiden die Staaten nach eigener ökonomischer und politischer Interessenlage, also nach dem Kosten-Nutzen-Prinzip. Das muss auch die Kirche in Rechnung stellen. Sie kann kein eigenes Asylrecht gewährleisten und sollte die staatliche Solidarbereitschaft nicht überfordern. Europa hat bereits ein großzügiges Asylrecht, dessen Kosten aber ungerecht verteilt sind.

Inwiefern ist die Verteidigung von Außengrenzen legitim? Dem Grenzschutzdienst der EU, Frontex, wird ja vorgeworfen, bereits die Ausreise aus bestimmten Ländern zu verhindern und damit ein reguläres Asylverfahren in der EU zu unterlaufen. Wie weit darf Grenzschutz also gehen?

Staaten, auch der europäische Staatenbund, sind völkerrechtlich befugt, ihre Grenzen vor illegaler Einwanderung zu schützen. Das gilt übrigens auch für den Vatikanstaat. Vielleicht hätten sogar strafverfolgte Islamisten ein besonderes Interesse, sich unter den Schutz des Papstes zu stellen. Ungeregelte Migration im Zuge einer globalen Völkerwanderung kann zu schlimmen Verwerfungen führen. Deshalb geht es um rechtliche Kriterien und Verfahren, die einerseits Rechtssicherheit garantieren, andererseits die Einwanderungskosten gerecht verteilen. Das vormals christliche Europa sollte wenigstens noch das Signal aussenden: Nicht Muslime, sondern islamisch bedrängte und verfolgte Christen genießen bei uns bevorzugt Asyl.

Gibt es aus Sicht der Katholischen Soziallehre ein Recht auf Einwanderung? Professor Kruip hat kürzlich in dieser Zeitung die Enzyklika „Pacem in terris“ von Johannes XXIII. zitiert, wonach es jedem Menschen erlaubt sein müsse, „in andere Staaten auszuwandern und dort seinen Wohnsitz aufzuschlagen“. (DT vom 12. März, Seite 7)

Es gibt ein Menschen- und Völkerrecht auf Auswanderung, aber nicht auf Einwanderung in einen bestimmten Staat. Das Einwanderungsrecht gehört zum Gastrecht und ist nicht juristisch einklagbar. Gastfreundschaft ist nicht erzwingbar. Anders als in früheren Zeiten spielt sich Einwanderung nicht in menschenleeren Räumen ab, die von Einwanderern erst noch zu kultivieren wären, sondern meist in übervölkerten zivilisierten Industriegesellschaften mit wohlfahrtsstaatlichen Anreizen. Hier entstehen gewaltige Integrationskosten und soziale Konflikte, die für multikulturelle Gesellschaften typisch sind. Das Recht, „in andere Staaten auszuwandern“, also nicht in einen bestimmten Staat, muss unter diesem Aspekt gedeutet werden. Außerdem hat die Kirche schon seit langem ein Recht auf Heimat proklamiert. Auch wir in Europa sollten also in unserer Heimat bleiben können und nicht wegen religiöser, wirtschaftlicher und politischer Notlagen das eigene Land verlassen müssen.

Oft ist in christlichen Kreisen die Ansicht zu hören: Kein Mensch ist illegal. Oder: Ich bin nur auf dem Mond Ausländer. Ist die Unterscheidung zwischen In- und Ausländern aus Sicht der Katholischen Soziallehre überholt zugunsten eines Weltbürgertums?

Ich halte solche vermeintlich frommen Phrasen für realitätsfremd. Das ist gesinnungstüchtige Betroffenheitslyrik und hat mit Katholischer Soziallehre nichts zu tun. Sondern entspricht eher der Mentalität eines liberalen Finanzkapitalismus, der sich parasitär in allen Ländern die Vorteile herauspickt. Globalisierung in dieser Zerrform läuft darauf hinaus, die sozialen Kosten schließlich doch den Nationalstaaten aufzubürden.

Der Westen lebt ökonomisch und ökologisch vielfach auf Kosten der Dritten Welt. Trägt er diese Schuld ab, wenn er Armutsmigration zuließe?

Ganz im Gegenteil. In dem angeblich so billigen Import junger Fachkräfte aus Ländern der Dritten Welt zeigt sich eine neue Form kolonialistischer Ausbeutung. Durch unsere migrationspolitische Selektion ziehen wir die jungen Eliten von armen Ländern ab, die diese Kräfte selber dringend brauchen. Außerdem ist es zynisch und zugleich vergebens, unsere demographischen Bevölkerungsverluste durch Nachwuchs aus den südlichen und östlichen Ländern kompensieren zu wollen. Hier zeigt sich sehr deutlich, dass unsere westliche Kultur der Familien- und Kinderfeindlichkeit nicht universalisierbar ist. Diese „Kultur des Todes“ ist dem selbstverschuldeten Untergang geweiht.

Müssen die Staaten bei der Arbeitsmigration nicht auch die sozialen und kulturellen Kosten für die Aufnahmegesellschaft berücksichtigen und nicht nur die möglichen ökonomischen Vorteile? Stichwort Parallelgesellschaften und andere Formen sozialer Desintegration.

Genau das ist das Problem, das von unseren Politikern und Ökonomen gern übersehen wird. In ihrem vordergründigen Kalkül sehen sie meist nur den kurzfristigen Nutzen, die nachhaltigen negativen Folgen blenden sie aus. Das kann man als strukturelle Verantwortungslosigkeit bezeichnen. Sozialverträgliche Einwanderung sieht anders aus. Sie setzt nämlich die Integrationsbereitschaft und -fähigkeit der Migranten voraus.

Das VII. Deutsch-Afrikanische Bischofstreffen hat kürzlich gefordert, dass die Vermeidung von Migration, die durch Not oder Perspektivlosigkeit erzwungen wird, langfristiges Ziel der Politik sein müsse. Überfordert das die Politik nicht, etwa für ganz Afrika ein Minimum an Wohlstand zu schaffen?

Aber der Wohlstand der Afrikaner liegt doch auch in unserem Interesse – oder? Wohin sollen wir denn unsere Produkte exportieren, wenn es in diesen Ländern keine Kaufkraft gibt? Die Wettbewerbsfähigkeit etwa der Afrikaner zu fördern und sie am Markt teilnehmen zu lassen, ist eine alte Forderung der Katholischen Soziallehre. Afrika sollte nicht als gewaltiges Rohstofflager ausgeplündert werden, wie es China gerade versucht. Und wir sollten den Afrikanern nicht durch Almosen helfen, die nur abhängig machen, sondern durch unser ordnungspolitisches und technisches Know-how, damit sie auf eigenen Beinen stehen können. Dazu müssen wir freilich die europäischen Handelsgrenzen öffnen für afrikanische Produkte. Das hören unsere Bauern natürlich nicht gerne.

» Email an Prof. Wolfgang Ockenfels: ockenwol@uni-trier.de