Christine Lagarde und Wolfgang Schäuble   Die Finanzminister Deutschlands und Frankreichs, Wolfgang Schäuble und Christine Lagarde (Foto l.), verkündeten jüngst freudetrunken, die Eurozone sei “über den Berg”. Ganz anders sieht das Robert Diamond, Vorstandschef der britischen Großbank Barclays, der darauf erwiderte, aus einem akuten Problem sei nun ein chronisches geworden. Das wiederum nährt die Sorge, die Welt könne schon längst auf dem Weg in die nächste Krise sein.

(Von Frank Furter)

Mit der Weltwirtschaft verhält es sich wohl bald wie mit Heisenbergs berühmter Unschärferelation. Über die heißt es unter Physikern, wer meint, er habe sie verstanden, beweist damit nur, dass er sie nicht verstanden hat. Das klingt fast genauso wie das Eingeständnis David Childs von der Großkanzlei Clifford Chance, der jüngst beim Weltwirtschaftsforum in Davos zum Thema Bankenregulierung zugab, es gäbe keinen Menschen mehr, der das alles noch in seiner Gänze verstehe.

Überhaupt scheint die Stimmung unter den Mächtigen in Davos längst nicht durchweg positiv zu sein. Kritische Stimmen, hinter vorgehaltener Hand geäußert, hat Welt-Online in einem interessanten Artikel zusammen getragen. Diese stammen vornehmlich aus Wirtschaftskreisen. Die Politik hingegen sieht sich bevorzugt in der Pose der erfolgreichen Retter. Bundesfinanzminister Schäuble und seine französische Kollegin Christin Lagarde verkündeten nun zur Überraschung vieler Experten, die Eurozone sei „über den Berg“, und das, obwohl im Hintergrund noch immer eifrig gestritten wird, wie nun die Schuldenkrise zu bewältigen sei.

Das Hauptproblem war, ist und bleibt Griechenland, andere Staaten könnten jedoch auf dem Fuße folgen. Die Rettung Griechenlands ist faktisch nicht ohne Geld von außen möglich. Zumindest nicht, wenn die Politik an ihren Dogmen festhält. Eines davon lautet, dass Griechenland allem offenkundigen Schaden zum Trotz nicht die Eurozone verlassen darf. Dabei wäre es vielleicht die einzige Möglichkeit, mit der sich die Griechen selber aus ihrer misslichen Lage befreien könnten, indem sie endlich eine Währungsabwertung auf ein ihrer Wirtschaft entsprechendes Niveau vollziehen. Doch stattdessen wird weiterhin Geld in Form von Krediten, abgesichert über den Euro-Rettungsfonds, in die marode griechische Wirtschaft gepumpt, was jedoch an ihrer mangelnden Wettbewerbsfähigkeit nichts ändert.

Eine weitere Alternative, die gerne in politischen Kreisen diskutiert wird, ist die kontrollierte Insolvenz für Staaten; sprich eine Umschuldung. Was sich jedoch nach einer einfachen Lösung anhört, ist in Wahrheit von bedenklicher Gestalt: würde beispielsweise Griechenland insolvent, sprich, könnte es die Schulden an seine Gläubiger nicht zurückzahlen, müssten die Gläubiger wohl – wie bei Inolvenzverfahren üblich – auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten. Und die Gläubiger Griechenlands sind vor allem Banken, darunter auch deutsche. Die Beträge sind beachtlich. Würde also Griechenland zahlungsunfähig, müsste der Deutsche Steuerzahler zwar die Griechen nicht mehr retten, dafür aber sehr wahrscheinlich seine eigenen Banken. Schon das könnte wie eine Neuauflage der Lehmann-Pleite wirken, und die ganze Weltwirtschaft mit sich in den Abgrund ziehen.

Die Situation erscheint also mindestens kompliziert, wenn nicht gar besorgniserregend. Und so verwundert es kaum, dass auf die frohe Kunde Schäubles und Lagardes noch auf demselben Podium in Davos mit Barclays-Vorstand Robert Diamond prompt der erste Mahner folgte, der auf die hohe Verschuldung einiger Euroländer verwies und süffisant anmerkte, aus einem akuten Problem sei nun ein chronisches geworden.

Das ist zwar korrekt, allerdings auch von durchaus beachtlicher Ironie, berücksichtigt man hierbei den Umstand, dass die Grossbank Barclays geradezu stellvertretend für eine Volkswirtschaft steht, die ausser einer monströsen Spekulationsmaschinerie in der City of London kaum Produktives zustande bekommt. Allerdings sind die Briten nicht Teil der Eurozone. Angesichts der aktuellen Probleme im Süden des Kontinenten werden das die meisten unter ihnen als Bestätigung für ihre Treue zum Pfund interpretieren.

Denn fraglos ist die Währungsunion mindestens ein Teil des Problems, wenn nicht gar der eigentliche Ursprung, wie beispielweise Hans-Olaf Henkel in seinem Buch „Rettet unser Geld“ und Professor Dieter Spethmann zuletzt im FAZ-Interview erklärten. Auch Ifo-Chef Hans-Werner Sinn forderte schon im März letzten Jahres den Austritt Griechenlands aus der Eurozone und befürchtete, die griechische Tragödie würde andernfalls „fürchterlich enden“.

Ähnlich pessimistisch klingt nun manch eine Aussage von verschiedenen Wirtschaftsvertretern in Davos. „Die Staatsfinanzierungskrise in Europa ist nicht beendet, wir haben in mehr als einem G-8-Land eine Nullzinspolitik, und wir wissen nicht, wie es mit der Bankenregulierung weitergeht“, sagt beispielsweise Gary Cohn, Vizechef von Goldman Sachs, laut oben bereits genanntem Welt-Online Artikel. So könne das scheinbare Ende der Krise tatsächlich schon der Beginn der nächsten sein, heisst es später in demselben Text, und „was damals die unvernünftige Kreditpolitik der Banken auf dem amerikanischen Immobilienmarkt war, könnte heute die Geldpolitik der großen Zentralbanken sein“. Diese wiederum sind in der Zwickmühle gefangen, einerseits mit niedrigen Zinsen die Inflation zu befeuern, andererseits mit einer Zinserhöhung den langersehnten Aufschwung zu gefährden.

Die offensichtliche Diskrepanz zwischen den Aussagen führender Politiker einerseits und den zurückhaltend formulierten Sorgen von Wirtschaftsvertretern andererseits mag vielfältige Gründe haben. Freilich ist die Politik zu Optimismus verdammt, und zwar schon aus der Befürchtung heraus, negative Aussagen könnten negative Folgen für den Aufschwung haben. Auch muss persönliches und parteipolitisches Kalkül unterstellt werden, weswegen führende Politiker den eigenen Weg als den einzig richtigen, gar „alternativlosen“, und selbstverständlich erfolgreichen vermitteln. All dies liegt in der Natur des politischen Geschäfts begründet.

Ein anderer Umstand jedoch erscheint in diesem Zusammenhang viel besorgniserregender. Denn ein häufig verschwiegenes Problem, das schon zum Entstehen der Subprimekrise beigetragen hat, könnte auch die unterschiedliche Wertung der aktuellen Lage mitbegründen. Die größere Kompetenz nämlich findet sich scheinbar auf Seiten der Wirtschaft. Die Politik ist den Experten in Banken und Unternehmen hoffnungslos unterlegen; nicht in der Aussendarstellung, die beherrschen Politiker im Schlaf, doch intellektuell, inhaltlich und fachlich hapert es gewaltig, zieht es doch die größten Talente seit jeher dorthin, wo es mehr zu verdienen gibt.

In guten Zeiten mag dies dem Allgemeinwohl nützlich sein. In einem demokratischen Staat, dessen Regierung ihr wirtschaftspolitisches Handeln auf Regulieren und Verwalten begrenzt, sind die besten Experten in der freien Wirtschaft besser aufgehoben. Diese Zeiten scheinen jedoch vorbei. Mehr noch, war schon die Subprimekrise in dem Bestreben der Clintonregierung begründet, den Immobilienmarkt nicht nur zu regulieren und zu verwalten, sondern zu gestalten. Welcher Irrsinn in den Köpfen mancher Politiker vorgegangen sein muss, der dazu führte, ein System zu schaffen, in dem für Banken nicht nur Möglichkeiten, sondern gar Anreize bestanden, Arbeitslosen und Geringverdienern den Hausbau mittels Krediten ohne jegliche Sicherheiten zu ermöglichen, ist bis heute ungeklärt. Und spätestens der papiergewordene Giftmüll, den die Banken mittels Verbriefung aus den Hypotheken schnürrten und auf den globalisierten Finanzmarkt umverteilten, überstieg wohl nicht nur die Phantasie der verantwortlichen Politiker hüben wie drüben – sondern schlicht und ergreifend auch ihre Expertise.

Vor dem Hintergrund erscheint es umso beängstigender, wenn nun in Regierungskreisen die Rufe nach einem zentralisierten EU-Wirtschaftsministerium laut werden. Abgesehen von ein paar so genannten Hardlinern in der FDP – rund um Hermann-Otto Solms – unterstützen breite Teile der schwarz-gelben Koalition die Pläne; bishin zur Kanzlerin. Tatsächlich ist die Maßnahme quasi das stillschweigende Eingeständnis, dass Hans-Olaf Henkel und all die anderen Eurokritiker inhaltlich recht haben. Denn ihre Argumentation beruht unter anderem darauf, dass es falsch war, eine Währung für einen Wirtschaftsraum mit derart unterschiedlichen volkswirtschaftlichen Kennzahlen zu schaffen.

Nun scheint es fast so, als wolle die Regierung Feuer mit Feuer bekämpfen: ein Problem, das durch die zu schnelle Europäische Integration zumindest mitbegründet wurde, soll mit noch schnellerer Europäischer Integration gelöst werden. Das erscheint nicht nur widersinnig und gefährlich, sondern zeugt auch von einer bemerkenswerten Geisteshaltung: der Überheblichkeit nämlich, zu meinen, es bräuchte nur eines neuen europäischen Super-Ministeriums, um dafür zu sorgen, dass alle Europäischen Staaten künftig auf ähnlichem Niveau haushalten und wirtschaften. Der giftige Geist des Sozialismus hat also – von wenigen als „Hardlinern“ verklärten Vernünftigen in der FDP abgesehen – selbst das Gros der Wirtschaftspolitiker im vormals bürgerlich-liberalen Lager befallen.

Ihrem Ansatz liegt ein gewaltiger Denkfehler zu Grunde: die Stärke der deutschen Wirtschaft beispielsweise ist nicht vornehmlich in der Arbeit irgendeines Ministeriums begründet. So gerne man sich das in politschen Kreisen einreden würde, das Gegenteil ist der Fall! Denn es gibt eine Fülle von Faktoren, die diesbezüglich weit wichtiger erscheinen: die Strebsamkeit vieler deutscher Arbeitnehmer und Unternehmer beispielsweie, die deutsche Kultur des „dichtens“ und „denkens“, die über Jahrzehnte hinweg die Grundlage für einen der innovativsten Wirtschaftsräume gelegt hat, oder das gute Bildungs- und Ausbildungssystem vergangener Zeiten, von dessen Früchten die deutsche Wirtschaft noch heute zehrt – um nur ein paar Beispiele zu nennen.

So ist zu befürchten, dass ein gemeinsames europäisches Wirtschaftsministerium die Probleme nicht lösen wird. Schlimmstenfalls könnte es gar dazu beitragen, die tiefgründig falschen strukturellen Bedingungen in der Eurozone noch zu verschärfen. Vom Grundsatz der „Einheit in Vielfalt“ bliebe somit kaum etwas über. Dabei wäre gerade die Erkenntnis der Vielfalt der europäischen Kulturen essenziell notwendig, um ein System zu schaffen, dass dieser Vielfalt Rechnung trägt. Stattdessen verwandelt sich die Europäische Union mit jeder Maßnahme zunehmend in einen Vereinheitlichungsapparat, dessen Regulierungs- und Verwaltungswut schon beängstigende Dimensionen erreicht hat. Was soll nur werden, wenn sich dieses undemokratische Monster auch noch dazu aufmacht, die Wirtschaft in der Eurozone nach falschen politischen Grundsätzen zu gestalten?

Anstatt also die politischen Irrtümer der Vergangenheit zu beheben und zu korrigieren, wird auf Basis derselben Irrtümer das Fundament für die Probleme von morgen gelegt. Der Westen rast mit Vollgas in die nächste Krise. Fatal ist dies besonders aus geostrategischer Sicht. Die erstarkten Sozialisten in China, die Patriarchen Russlands und die ölgetränkten Herrscher des Nahen Ostens reiben sich die Hände. Sie werden langfristig die Nutznießer sein, sollten sich die Europäer nicht bald zu einer Kurskorrektur durchringen. Denn heute mag es nur Griechenland sein, dessen Schulden innerhalb der Eurozone sozialisiert werden. Morgen schon könnten Spanien und Portugal folgen. Wer jedoch rettet Deutschland, wenn es irgendwann am europäischen Schuldenberg zerbricht?

Der Ausverkauf der deutschen Wirtschaft hat bereits begonnen. Zunehmend viele Firmen haben Anteilseigner in Nah- und Fernost. Diese werden sich langfristig nicht nur mit dem Abzug von Kapital in Form von Dividenden begnügen. Allzuoft sind Investitionen strategischer Natur, geht es um Wissen, Technologie und Zukunftschancen.

Deutschland braucht dringend eine Renaissance bürgerlicher Werte in der Politik. Und Deutschland braucht endlich wieder Politiker, die sich vornehmlich dem Wohl des Deutschen Volkes verpflichtet fühlen. Besser, wir retten uns heute selber, als morgen am Tropf fremder Staaten zu hängen – in denen schlimmstenfalls gar der Extremismus regiert!