Professor Dr. Karl Doehring  Zu diesem Fazit kommt Professor Dr. Karl Doehring (Foto) in seinem Artikel „Niemand kann zwei Herren dienen“, der am Donnerstag in der FAZ veröffentlicht wurde. Der frühere Direktor am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg stellt u.a. fest, dass die Freiheit der Lehre nicht von der „Treue zur Verfassung“ entbinde.

Auszug:

Im Folgenden soll es nun um die Frage gehen, ob die religiöse und in diesem Sinne irrationale Glaubensvermittlung – der Gottesbeweis kann nicht angetreten werden – als Teil der Religionsvermittlung als Staatsveranstaltung unbegrenzt zulässig ist oder ob aus der Verfassung ihnen Grenzen gesetzt sind. Würde in einem „Weltanschauungsunterricht“ der Marxismus gelehrt und würde seine Lehre nicht nur deskriptiv geboten, sondern missionarisch, können Bedenken auftreten. Der Marxismuslehrer könnte veranlasst sein zu der Feststellung, dass dann, wenn eine Änderung der Gesellschaftsordnung mit parlamentarischen Mitteln nicht erreichbar sei, ein „gewaltsamer Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnungen“ gerechtfertigt sei. Eine solche Auffassung stünde mit dem Grundsatz nicht in Übereinstimmung, den das Grundgesetz ausdrücklich enthält. Artikel 5 Absatz 3 sagt, dass die Freiheit der Lehre nicht von der „Treue zur Verfassung“ entbinde. Eine Aufforderung zum gewaltsamen Umsturz unserer freien demokratischen Grundordnung stünde mit der Treue zur Verfassung nicht in Übereinstimmung.

Dieser Absatz ist sehr aufschlussreich, denn durch den Vergleich zum Marxismus, der missionarisch sei und eine Änderung der Gesellschaftsordnung auch unter Einbeziehung der Gewalt anstrebe, baut Doehring zielstrebig die Brücke zur islamischen Ideologie. Zunächst stellt er jedoch klar, dass die christliche Religion nicht dem Grundgesetz widerspreche:

Wenn man annimmt, dass Religionsvermittlung in der Lehre an Schulen und Hochschulen nicht rein deskriptiv vor sich gehen muss oder darf, sondern auch für die vermittelte Religion werbend und also überredend wirken darf, ergibt sich die gleiche soeben für den Marxismus, Kommunismus und Nationalsozialismus gezeigte Problematik. Dabei kommt es sicherlich auf den Inhalt der mitgeteilten Glaubensüberzeugung an. Es ist wohl bisher als selbstverständlich empfunden worden, dass christlicher Religionsunterricht und Religionslehre an deutschen Fakultäten ihre Glaubensüberzeugung ungehemmt verkünden dürfen, gerade auch als Ziel ihrer Lehre es ansahen und es ansehen, Glaubensüberzeugungen zu wecken. Täten diese Lehrer das nicht, müssten sie für ihr Fach als ungeeignet angesehen werden (Fall Küng). Aber es ist auch – mit Recht – bisher nicht behauptet worden, dass die christliche Religionsvermittlung mit dem Grundgesetz in Konflikt kommen könnte.

Was man vom Islam nicht unbedingt behaupten könne:

Wie steht es nun mit islamischem Religionsunterricht und islamischer Hochschullehre? Wenn man ihnen das Missionieren in dem eben beschriebenen Sinne konzediert, ergeben sich schwerwiegende Probleme im Hinblick auf die „Treue zur Verfassung“ im Sinne des Grundgesetzes. Dabei geht es nicht darum, dass in der Art von Hasspredigten zur Gewalt aufgerufen wird, sondern nur darum, ob empfohlene Handlungs- und Verhaltensweisen in einem Gegensatz zu Verfassungsnormen stehen, deren Befolgung die Treue zur Verfassung verletzen würde.

Es geht also nicht um kriminelle Handlungen, die unter Umständen strafrechtlich verfolgt werden könnten, sondern um die Empfehlung zu einer Geisteshaltung, deren Vollzug mit fundamentalen Wertvorstellungen des Grundgesetzes nicht vereinbar sind, diese gar rigoros ablehnen. Die Treue zur Verfassung soll den Lehrenden hindern, unter Berufung auf die Freiheit der Lehre eine Abkehr von fundamentalen Prinzipien der Verfassung zu propagieren. In den Kommentierungen des Grundgesetzes findet sich vielfach die Formel, Artikel 5 Absatz 3 des Grundgesetzes gebiete, dass der Lehrer das “Katheder” nicht zur Verbreitung verfassungsfeindlicher Lehren missbrauchen darf. Geschützt werden soll in diesem Sinne vor allem die “freiheitliche demokratische Grundordnung”, und eine Lehre, die diese negiert, widerspräche der Treue zur Verfassung. Damit sind jedenfalls Artikel 1 und 20 des Grundgesetzes gemeint, denn diese Artikel sind auch jeder Verfassungsänderung entzogen und gegen eine solche geschützt.

Im Grundgesetz müsse man also nicht besonders weit lesen, um zur ersten schwerwiegenden Wertekollision zu gelangen. Denn die Menschenwürde werde im Islam ganz anders aufgefasst:

Hier ist vor allem Artikel 1 des Grundgesetzes von Bedeutung, der Schutz der Menschenwürde. Eine Religionslehre, die eine Abkehr von dem Respekt vor der Menschenwürde werbend empfiehlt, bedeutet gleichzeitig die Verletzung der Treue zur Verfassung, und gemäß Artikel 18 des Grundgesetzes ist das Recht zur Lehre verwirkt. Viele Vorschriften des Korans und der Scharia sind mit den Werten des Grundgesetzes nicht vereinbar. Es sei nur an Regeln des Familienrechts erinnert, an das grundsätzliche Verständnis von dem Verhältnis der Geschlechter zueinander, an die Strafempfehlungen der Scharia oder an die Konsequenzen für den Abfall vom islamischen Glauben.

Doch es mag genügen, die Menschenwürde näher zu betrachten. Sie wird nach dem Geist des Grundgesetzes völlig anders aufgefasst wie nach demjenigen des Islams. Nach dem Grundgesetz ergibt sich ihr Inhalt, auch wenn er abstrakt schwer fassbar ist, doch weitgehend aus den einzelnen Wertvorstellungen, die das Grundgesetz betont, etwa aus dem Gedanken und dem Charakter des Persönlichkeitsschutzes, der Eigentumsordnung, des Toleranzgebots, des Gleichheitssatzes oder der Religionsfreiheit, um nur wesentliche Werte zu nennen. Auf allen diesen Gebieten stehen Islam und Grundgesetz zueinander im schroffen Gegensatz. Immer wieder betont der Islam beziehungsweise seine Vertreter, dass die islamische Menschenwürde dann voll erfüllt sei, wenn der Muslim sein Leben in voller Übereinstimmung mit Koran und Scharia einrichte, wie das schon sehr klar 1981 auf einer Konferenz in Kairo bei Behandlung der Menschenrechte im Islam erklärt würde.

Durch die untrennbare Verknüpfung von Religion und weltlicher Verfassung sei der Islam niemals mit dem Grundgesetz vereinbar:

Nahezu alle Verfassungen, deren Staatsvolk mehrheitlich dem Islam angehört, enthalten den sogenannten Scharia-Vorbehalt, das heißt, es wird festgestellt, dass die Quelle allen und also auch des weltlichen Rechts der Koran und die Scharia sind. Hier zeigt sich deutlich und unmissverständlich, dass der Islam seine Religion und seine weltliche Verfassung als untrennbar betrachtet. Es können also die Vorstellungen von Menschenwürde gemäß dem Grundgesetz und diejenigen des Islams nicht identisch sein. Ein Imam, der die Menschenwürde des Islams lehrt, kommt notwendig in einen Widerspruch zu unserer Verfassung.

Vom sogenannten „moderaten Islam“ verspricht sich Doehring nicht viel:

Nun wird häufig gesagt, dass der Koran und die Scharia auch Auslegungen zulassen, die in gewisser Weise „gemäßigt“ seien und eine Einschränkung oder gar Abkehr von überkommenen islamischen Wertvorstellungen zuließen. Das Verhalten aber des überwiegenden Teils der islamischen Bevölkerung steht dem entgegen. Strikte Unterordnung der Frauen etwa unter die Herrschaft des Mannes wird so weitgehend praktiziert, und zwar auch in der Fremde und unter fremden Rechtsordnungen lebenden Muslimen, dass man an einer Effektivität dieser „gemäßigten Auffassung und Auslegung“ zweifeln muss. Es steht hier ähnlich wie bei Rechtsordnungen, die eine Ideologie als ihren „Überbau“ bezeichnen.

Ein ideologisch „gemäßigter“ Kommunismus mag von manchen Kommunisten angestrebt sein, praktiziert wurde oder wird er aber nicht, sondern der Klassenkampf bleibt das Grundthema. In der Praxis bedeutet auch der Scharia-Vorbehalt in islamischen Verfassungen den unbedingten Vorrang der Religion vor dem weltlichen Recht oder auch die Unentwirrbarkeit zwischen Religion und staatlichem Recht.

Zum Schluss stellt Doehring folgerichtig den Sinn des schulischen Islamunterrichtes in Frage:

Es fragt sich nun, was soll der islamische Religionsunterricht in Schule und Hochschule vermitteln? Wofür soll und darf er eingerichtet werden? Bleibt er hierbei durch überredende Religionsvermittlung in gewisser Weise missionarisch, kann oder gar muss er in Konflikt zu der Treueklausel des Grundgesetzes kommen. Hält er sich an die Treueklausel, ist fraglich, ob er dann noch islamische Religion lehrt. Soweit ersichtlich, ist über diese Frage zu wenig diskutiert worden. Um das Ganze plakativ zu fassen, können Alternativen erwogen werden: Man kann die Treueklausel des Artikels 5 Absatz 3 Grundgesetz aus der Verfassung entfernen, wobei es fraglich bleibt, ob damit die „wehrhafte“ Demokratie sich aufhebt.

Nur die Strafgesetze wären noch eine Bremse im sogenannten Staatsschutz. Man könnte – ad absurdum gedacht – jedem islamischen Religionslehrer einen Aufpasser an die Seite stellen, der über die Treueklausel wacht, was bedeutet, dass vielleicht sich kein islamischer Religionsunterricht mehr entfalten kann. Man kann, als Letztes, von staatlich sanktionierter Islamlehre an Schulen und Hochschulen absehen, so dass Islamlehre nur als Wissenschaft der Religionsvergleichung aufzufassen ist. Jedenfalls aber muss man sich wohl in dieser Frage entscheiden, wenn man einem geistigen Chaos entgehen will. Niemand kann zwei Herren dienen, deren Wertauffassungen sich gegenseitig ausschließen.

Zur weiterführenden Literatur ist Prof. Tilman Nagels Aufsatz „Kann es einen säkularisierten Islam geben“ empfohlen. Dessen Kernthese lautet:

Um eine solche Übereinstimmung [mit dem Grundgesetz] herbeizuführen, müssten wesentliche Partien des Korans und der Prophetenüberlieferung für nicht mehr gültig erklärt werden; insbesondere den zahlreichen Koranstellen und Prophetenworten, die zur Gewaltanwendung gegen Andersgläubige auffordern (etwa Sure 9, Vers 5 und 29) und den absoluten Geltungsanspruch des Islam verfechten, sowie den ebenfalls zahlreichen Belegen für die inferiore Stellung der Frau wäre ohne Wenn und Aber die ewige Geltung abzusprechen.

(Text: Michael Stürzenberger / Danke allen Spürnasen)