Die Taktik der SPD, die Verhandlungen zu Hartz IV solange hinauszuzögern, bis sich positive Wahlergebnisse zeigen, ist für Sozialdemokraten im Falle Hamburgs aufgegangen. Daher konnte nun in der Nacht der Hamburg-Wahl eine Einigung zu Regelsatz, Bildungspaket und Mindestlohn erzielt werden. Allerdings ist mehr als fraglich, ob Schwarz-Rot dabei im Rahmen der Verfassungsmäßigkeit geblieben sind.
(Von nockerl)
Das Bundesverfassungsgericht hatte die Politik mit einer Neuregelung von Hartz IV beauftragt, da es die Regelsätze nicht als zu hoch oder als zu niedrig betrachtete. Vielmehr hat das höchste deutsche Gericht moniert, dass es an der Nachvollziehbarkeit der Versorgungshöhe mangele. Es verlangte eine genaue Berechnung, wie der Gesetzgeber zu den in den Normen des im Volksmund Hartz IV genannten Sozialgesetzbuches II (SGB II) vorgegebenen Summen kommt.
Die Politik wäre daher gehalten gewesen, die Regelsätze mit einer ordentlichen Berechnung zu begründen. Das ist offensichtlich nicht der Fall. Der Kompromiss der letzten Nacht sieht eine Erhöhung um fünf Euro rückwirkend ab dem 1. Januar diesen Jahres vor. Dies könnte man sicher noch – zumindest pro forma – auf eine Berechnung zurückführen.
Endgültig willkürlich und damit neben der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist jedoch die Entscheidung, im folgenden Jahr den Satz um drei Euro zu erhöhen. Und zwar – und da liegt der Hase im Pfeffer – unabhängig von der Erhöhung, die aufgrund der bis dahin eintretenden Preissteigerung notwendig wird. Damit ist klar, dass spätestens diese drei Euro nicht auf einer Berechnung des notwendigen Lebensunterhaltes beruhen können.
Das ahnt wohl auch die Politik, weshalb der rheinlandpfälzische Ministerpräsident Kurt Beck schon vermelden ließ, er sei sich nicht sicher, ob der Kompromiss dem Grundgesetz entspreche. Sich aber, wie der Spiegel meldet, darauf zurückzuziehen, der SPD-Politiker verlasse sich bei dieser Frage auf die Einschätzung der Bundesregierung, ist das Stehlen aus der Verantwortung. Er ahnt wohl, dass er dieses Hintertürchen noch wird brauchen könne.
Künast verlässt Sitzung
Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Renate Künast, hatte die Sitzung zur Findung des Kompromisses zum Bruch der Verfassung verlassen. Und zwar genau aus dem Grund, dass die Umweltpartei (berechtigte) Zweifel an der Rechtmäßigkeit hegt. Das verdient Lob und Anerkennung. Wie ernst die Grünen ihre Bedenken nehmen, können sie noch im weiteren Verfahren beweisen. Es bleibt an den Grünen, im weiteren Verlauf zu zeigen, ob das Verlassen der Sitzung eine Rückversicherung für den Fall des erneuten Scheiterns der Hartz-Gesetzgebung vor dem Verfassungsgericht war, oder ob man bereit ist, die Fehlentscheidung anzuprangern. Das Verhalten der mit grüner Beteiligung regierenden Länderkoalitionen wird darüber Aufschluss geben, ob es den Grünen um die Sache oder um den Effekt geht. Eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht wäre hier auch ein Nachweis der Prinzipientreue.
An den wahren Problemen vorbei verhandelt
Doch mit der Diskussion um Leistungshöhe, Mindestlohn und Bildungspaket haben die faktischen Großkoalitionäre um die wahren Probleme herum verhandelt. Der Kompromiss ist von der Geisteshaltung der Obrigkeit und der Beibehaltung staatlicher Leistung – für das eigene vermeintliche Klientel – bestimmt. Dieses vermutet die einstige Arbeitnehmerpartei SPD auch bei Schulsozialarbeitern, so dass sie mit Stolz die Schaffung Tausender neuer dahinter stehender Versorgungsstellen in der Sozialindustrie vermelden konnte, um einmal mehr ihr eigene Anhängerschaft mit Einkommen über die öffentliche Hand versorgen zu können. Alles natürlich für das Wohl der Kinder! Denn mit diesem Slogan wird Kritik sozial erschwert. Wer sich gegen das immer weitere Aufblasen des Sozialapparates wendet, gilt somit geschickterweise als Kinderfeind. Wer will das schon?
Daher bleibt unberücksichtigt, dass kein Land so viel für Schüler (pro Kopf) ausgibt, wie Berlin und damit kläglich scheitert. Da hilft auch nicht das deutschlandweit – numerisch – beste Lehrer/Schüler-Verhältnis, das die deutsche Hauptstadt aufweist. Das Geheimnis von Erfolg wird bis an das Ende aller Tage von der eigenen Leistungsbereitschaft abhängen und nicht davon, sozialpädagogisch grundierte Ausreden für den Mangel hierfür zu finden. Die – leider mehrheitlich so verstandene – Sozialarbeit löst keine Probleme, sondern verfestigt sie.
Bei all den nun vereinbarten „Verbesserungen“ stand die Frage der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik schlechthin zu wenig im Mittelpunkt: Wie werden Menschen aktiviert, die nun schon zum Teil in der dritten und vierten Generation nicht mehr am Arbeitsleben teilnehmen? Ein Schulsozialarbeiter – der ohnehin berufsbedingt für alles Verständnis hat – kann nicht das Defizit ausgleichen, das Kinder haben, deren Eltern morgens noch im Bett liegen, wenn sich der Nachwuchs auf den Weg zur Schule macht.
Doch dieses Grundproblem der sich über die Generationen verfestigten Sozial-„Karrieren“ anzugehen, wollen weder die roten noch die schwarzen Sozialdemokraten. Wobei die schwarzen Angst haben, von der sozialdemokratisch und sozialromantischen Presse nicht geliebt zu werden und die roten Sozialdemokraten sich nicht ihrer eigenen Kundschaft entledigen wollen. Was stört daher das Grundgesetz, wenn man doch nur das Gute will?
(Foto oben v.l.n.r.: Kurt Beck, SPD-Verhandlungsführerin Manuela Schwesig, Ursula von der Leyen und Wolfgang Böhmer)