
(Von Schalk Golodkowski)
Nein, es ist die Nachricht, dass der „Dioxinskandal“ nun meine geliebte Heimat Baden-Württemberg erreicht hat. Es gibt Hinweise auf belastete Schlachttiere und kontaminiertes Flüssigei, das zur Herstellung von allen möglichen Teigwaren verwendet wird, die man in Supermärkten kaufen kann. Darunter auch Spätzle.
Die Südwestpresse, ein Zeitungsorgan, das trotz oder gerade wegen seines eher zurückhaltenden Niveaus bei uns weit verbreitet ist, meldet es heute in großen Lettern: „Dioxinskandal erreicht Land“. Der Chef des linkslastigen Politikressorts, Wilhelm Hölkemeier, hat diesmal sogar auf Unternehmerschelte verzichtet – wohl wissend, dass seine Kommentare zu einem nicht unbeträchtlichen Teil von Bauern gelesen werden, für die das Blatt in erster Linie wegen der Klein- und Todesanzeigen unverzichtbar ist – und gibt dem Verbraucher die Schuld. Wem für die eigene Ernährung das Billigste gut genug sei, der dürfe sich nicht beschweren, wenn Bauern und Händler aufgrund des Preisdrucks so scharf rechnen müssten, dass Betrüger leichtes Spiel hätten. Ich gebe ihm ja Recht, wenn er damit ausdrücken wollte, dass die Lebensmittel bei artgerechter Haltung – der Tiere, nicht der Menschen – dreimal so viel kosten müssten und auch nicht unbedingt jeder jeden Tag Lebensmittel zu sich nehmen muss. Ob damit allerdings künftig solche „Skandale“ vermieden werden können, ist zweifelhaft.
Denn Dioxin ist überall! Nur in kleinen Dosen natürlich, darum misst man es in Pikogramm (pg). Ein Pikogramm ist ein Billionstel Gramm. Aber diese Dioxin-Pikogramme haben es in sich. Man sollte pro Tag nicht mehr als zwei pg pro Kilogramm Körpergewicht zu sich nehmen, sonst stirbt man oder wird wahnsinnig. Dieser Meinung ist zumindest die WHO, die sich damit auskennt. Bei Eiern dürfen es auch schon mal drei Pikogramm sein. Wenn man dem Umweltbundesamt glauben darf, nimmt der Mensch am Tag 0,7 Pikogramm pro kg Körpergewicht auf. Man hat das an Leichen mit Hilfe fein kalibrierter Küchenwaagen gemessen.
Zu diesen 0,7 pg reinem Dioxin kommen dann noch 1,3 pg dioxinähnlicher polychlorierter Biphenyle (PCB), PCB wurde 1989 bei uns verboten. Zuvor verwendete man es zum Beispiel als Weichmacher in Kunststoffen und es war daher sehr gefährlich, wenn man die Kunststoffverpackungen von Lebensmitteln gleich mit aß. Weltweit ist PCB seit 2001 verboten, aber es ist noch ausreichend davon in der Umwelt vorhanden. Über die Nahrungskette gelangt es ins Fettgewebe von Tier und Mensch. Die Schweizer haben letztes Jahr ein Fangverbot für Aale im Rhein erlassen, weil den Aalen PCB offenbar besonders gut schmeckt und sie die Grenzwerte um ein Vielfaches übertrafen. Im Jahr 2008 wies Schweinefleisch aus Irland eine PCB-Konzentration auf, die etwa 2500-mal höher war als die Dioxinkonzentration. Die Tiere hatten verunreinigtes Futter erhalten. Der Futtermittelhersteller recycelte Lebensmittelreste zu Tierfutter, und vermutlich war beim Betrieb seiner Trocknungsanlage ein Öl eingesetzt worden, das mit PCB belastet war.
In den niedersächsischen Eiern hat man bis zu 12 Pikogramm Dioxin gefunden. Das mag Ihnen hoch erscheinen, aber wenn Sie nur alle vier Tage Eier essen, stimmt die Rechnung wieder und Sie werden niemals sterben. Bei mir hingegen sieht es düster aus. Zwei Eier pro Tag seit der Geburt, das bringt den stärksten Mann um. Erschwerend kommt hinzu, dass in der Muttermilch und der Plazenta ebenfalls hohe Dioxinkonzentrationen vorkommen. In Schweden wird deshalb jungen Frauen und Mädchen empfohlen, nur einmal pro Monat Fisch aus der Ostsee zu essen, damit sie, falls sie je schwanger werden sollten, nicht so hoch mit Dioxin angereichert sind. Davon wusste meine Mutter natürlich nichts.
Woher kommt nun aber dieses Dioxin, fragt man sich. Wenn man doch weiß, wie gefährlich es ist, warum wird es dann nicht nach Russland ausgeschafft? Die PHB-Altlasten habe ich bereits genannt. Die größten Dioxin-Emissionen in Deutschland fallen heutzutage bei der Metallproduktion und beim Sintern an. 2004 betrug die Jahresmenge 110 g l-TEQ (Internationale Toxizitätsäquivalente). Im Jahr 1990 waren es allerdings noch 1.474 g I-TEQ, also mehr als das Dreizehnfache. Man mag sich gar nicht vorstellen, was noch früher, zum Beispiel beim Aufrüsten für unsere beiden Weltkriege, in die Luft geblasen wurde, oder in der DDR, in der man bis 1989 gar nicht wusste, dass es blauen Himmel und eine Sonne gibt. Auch „Kleinfeuerungsanlagen“ – im Klartext unsere Heizungen – schlagen übrigens mit 20 g I-TEQ ordentlich zu Buche.
Umso erstaunlicher, dass wir heute eine so hohe Lebenserwartung haben. Man müsste meinen, bei den Mengen an Gift wären alle über 20 bereits mausetot. Darin liegt auch meine Hoffnung, daher habe ich der Bäuerin, die mir morgen wie jeden Samstag meine Dioxin-Eier bringt, noch nicht abgesagt. Todesmutige sind herzlich zum Frühstück eingeladen.
» WELT: “Herr Pollmer, schmeckt Ihnen ihr Frühstücksei noch?”