
Die Schüler einer durchschnittlichen vierten Klasse in Deutschland können und wissen heutzutage weniger als vor 20 Jahren, meinte schon Thilo Sarrazin in seinem Bestseller „Deutschland schafft sich ab“. Jüngst legte seine Frau Ursula nach, und machte unter anderem in einem großen Focus-Interview auf die Missstände in der deutschen Bildungspolitik aufmerksam. Im Zentrum ihrer Kritik stand der zunehmend geringere Leistungsdruck an deutschen Schulen, der wohl seinen Ursprung im Kuschelkurs hiesiger Sozialpädagogik hat. Die wiederum bezieht ihre weltfremden Überzeugungen aus der im linken Lager üblichen “Leistungsphobie”, die sich bekannterweise nicht nur auf das Bildungssystem beschränkt, sondern eher wie ein sozialpolitisches Gesellschaftsexperiment daher kommt. Immerhin, wer Dummheit schon in frühen Jahren fördert, kann sich berechtigte Hoffnung machen, mit dummer Politik auch langfristig erfolgreich zu sein. So gesehen macht das alles Sinn, fatalerweise.
Wer nun meint, diese Fehlentwicklungen seien nur auf das deutsche Bildungssystem begrenzt, der irrt. Auch in Österreich – ebenfalls nicht mit Bodenschätzen in Hüllle und Fülle gesegnet – scheint die Politik auf vergleichbar frappierende Art und Weise den einzigen Rohstoff des Landes zu gefährden: die nachwachsende Intelligenz. Genaueres weiß Voestalpine-Generaldirektor Wolfgang Eder zu berichten, der sein Entsetzen in einem ORF-Gespräch mit klaren Worten zum Ausdruck brachte. Unter anderem sagte er dort:
Wir müssen tatsächlich die Lehrlinge in den ersten zwei Jahren in den Grundrechnungsarten und in der Grundgrammatik unterrichten. (…) Wir haben in den letzten zehn Jahren einen dramatischen Verfall der Bildung, der Ausbildung der Schulabgänger.
Wie eklatant die Missstände selbst in Österreich sind, immerhin ein Land, das für sein gutes Bildungssystem bekannt ist, zumindest im Vergleich zu vielen deutschen Bundesländern, verdeutlicht die folgende Aussage Eders:
Obwohl wir die zehn besten Prozent der 1200, 1500 nehmen, müssen wir diese schulischen Nacharbeiten machen. Das war vor zehn Jahren überhaupt noch kein Thema. Das heißt, dass wir im Grundschulbereich den Anschluss verlieren.
Zur Verdeutlichung kommt Eder auf den Spitzensport zu sprechen: wenn österreichische Skispringer „trainieren, trainieren, trainieren“, und an die Grenze des Machbaren gingen, um an der Weltspitze dabei zu sein, dann fasziniere das die Menschen. Wenn man dies jedoch im normalen Leben auch verlange, dann hieße es plötzlich: „Naa, das wolln mer net“. Der ganze Aufbau des Bildungssystems sei in einem derart schlechten Zustand, dass „man nur noch mit grundsätzlichen Veränderungen etwas erreichen kann“. Das jedoch könne nicht Vereinheitlichung heißen, sondern „Leistung“. Diesen Begriff stellte Eder deutlich in den Vordergrund, und fügte noch hinzu:
Wenn wir nicht für unsere jungen Menschen etwas tun, und wenn die nicht bald einmal eine Interessenvertretung bekommen, dann müssen wir uns, die ältere Generation, den Vorwurf gefallen lassen, die Zukunft der Jugend vermießt und vermasselt zu haben.
Das sind klare Worte, und wieder einmal ist es ein Vertreter aus der Wirtschaft, der sich traut, Klartext zu reden. Warum vergleichbar kritische Stimmen aus dem Munde von Politikern so außerordentlich selten sind, hatte in Deutschland zuletzt Thilo Sarrazin vorgeführt: Wer es wagt, der von oben diktierten Schönmalerei in etablierten Parteien zu widersprechen, hat bestenfalls nichts mehr zu melden, schlimmstenfalls ein Ausschlussverfahren am Hals.
Tendenziell mag in Deutschland der Eindruck entstehen, die Konservativen wüssten besser, wie Bildungspolitik gemacht wird, schließlich schneiden schwarz-regierte Länder wie Bayern und Baden-Württemberg bei Vergleichstest in der Regel besser ab. Im internationalen Vergleich jedoch reicht auch das nicht mehr zur Weltspitze. Vielmehr scheint sich Thilo Sarrazins Aussage selbst in Österreich zu bewahrheiten: die Leistungsfähigkeit der Schüler hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten dramatisch abgenommen.
Damit legt die aktuelle Missbildungspolitik hüben wie drüben den Grundstein für die Armut von morgen. Denn Länder wie Deutschland und Österreich sind, das ist gemeinhin bekannt, von der Innovationskraft ihrer Volkswirtschaften geradezu abhängig. Diese jedoch werden ihr hohes Niveau nicht halten können, wenn der Leistungsdruck in Schulen – wie so vieles andere – auf dem Altar sozialpolitischer Ideale geopfert wird. Dabei scheint es kaum noch eine Rolle zu spielen, welche Parteien nun wie, wann und wo das Sagen haben. Das Ergebnis unterscheidet sich nur rudimentär – die Tendenz jedoch ist dieselbe: abwärts!
So lange Begriffe wie Leistung und Strebsamkeit negativ besetzt sind, wird sich an dieser Tendenz kaum etwas ändern. Tatsächlich scheint das Bildungssystem ein Spiegelbild des Werteverfalls in unseren Gesellschaften zu sein. Denn die Wahrheit ist: Wer raucht, säuft und kifft, wer als Minderjähriger Sex hat, dümmliche Musik mit banalen Texten hört, fremder Leute Eigentum beschmiert und gerne mal seiner Meinung mit Fäusten Nachdruck verleiht, gilt an vielen Schulen in deutschen und österreichischen Städten als cool, als stark, als toll, als angesehen. Wer sich jedoch schon im Kindesalter für Physik oder Mathematik interessiert, Bücher liest und Hausaufgaben macht, gilt bestenfalls als Außenseiter oder Streber – schlimmstenfalls sind solche Schüler gar die Prügelknaben der zunehmend verdummenden Mehrheit.
Das war schon so, als ein Frank Furter zur Schule ging. Und es ist wohl tatsächlich noch schlimmer geworden. Deutschland schafft sich ab. Und Österreich folgt – wie so oft – auf dem Fuße.